Neue Diskussion um das verleaste Wittenberger Klaerwerk

Samstag, 22. Januar 2005

Neue Diskussion um das verleaste Klärwerk

Neue Diskussion um das verleaste Wittenberger Klärwerk
Führt Scheininvestition zum Finanz-Desaster?


Dr. Schacht+Rügemer
Rechtsanwalt Dr. Jürgen Schacht und der Fachjournalist Werner Rügemer empfehlen den Stadträten, den CBL-Vertrag aufzuheben: “Sonst tun es andere und dann wird`s richtig teuer!” Foto: Wolfgang Gorsboth

Wittenberg (red). Beide warnten im Wittenberger Ratssaal vor dieser Art von Geldbeschaffung, weil es sich dabei um “lupenreine Scheininvestitionen” handelt. Droht der Stadt wegen des verleasten Klärwerks ein millionenschweres Finanz-Desaster? “

Cross-Border-Leasing ist eine kuriose Blüte der New Economy, die längst verblüht ist”, meinte Rügemer, denn der Gesetzgeber in Washington hat gehandelt und zum 1. November 2004 das bestehende Steuerschlupfloch gestopft. Doch welche Konsequenzen hat dies für bestehende Verträge? “Genügte den US-Finanzämtern bislang eine Kurzform der in der Regel mehrere tausend Seiten starken Verträge, so rollen sie nun systematisch diese Scheingeschäfte auf”, erklärte Rügemer. “Stellen sie fest, dass den Verträgen kein ökonomischer Gehalt zu Grunde liegt, weil der Investor keine wirkliche wirtschaftliche Verantwortung übernommen hat, werden sie auf die Einhaltung des amerikanischen Rechtes pochen.” Und das könnte für das Wittenberger Klärwerk bedeuten: Nicht die Stadt, sondern der US-Investor wäre Eigentümer.

Nach deutschem Recht ist aber die Stadt Eigentümer, ein nicht lösbares Problem mit möglicherweise unangenehmen Folgen, denn Gerichtsstandort für CBL-Verträge sind die USA. “Die US-Finanzämter haben das Recht, den Finanzvorteil des US-Investors zu schmälern”, betonte Rügemer, der Investor kann den Steuervorteil nicht mehr geltend machen. Ein klarer Grund, die bestehenden CBL-Verträge zu kündigen.” Wittenberg müsste dann für mindestens die Hälfte der Summe, also circa 45 Millionen Euro aufkommen. Weiteres Problem: Die vertragliche Kündigungsoption umfasst den Zeitraum 2000 bis 2025, was passiert 2025? Kauft die Stadt das Klärwerk mit dem auf dem Depot-Konto gelagerten Geld zurück oder besteht der US-Investor plötzlich doch darauf, dass Klärwerk nun selbst zu betrieben oder einem anderen Investor zu übertragen? “Es gibt zwei Eigentümer und gleichzeitig keinen, das ist die Quadratur des juristischen Kreises, und das kann nicht funktionieren”, warnte Rechtsanwalt Dr. Schacht: “Eine reine Luftnummer, auch weil kein Stadtrat das umfangreiche Vertragswerk in englischer Sprache je gesehen hat.”

Da das CBL auch kommunales Gebührenrecht berührt, machen nach den US-Finanzämtern nun auch die deutschen Behörden Schwierigkeiten: “Ist der Investor wirtschaftlicher Eigentümer des Klärwerks, dann hat die Kommune nur noch ein Nutzungsrecht, damit hat sie keine Hoheit mehr, Gebühren zu verlangen”, berichtete Schacht. “Dieses Problem wird derzeit vor deutschen Gerichten verhandelt, die Konsequenzen können verheerend sein!” Denn, wenn die Kommune nur noch Nutzer ist, verliert sie das Abschreibungsrecht bei den Gebühren. Schacht: “Entweder der Investor hat den Steuervorteil oder die Kommune das Abschreibungsrecht, beides gleichzeitig geht nicht. Und dieser Konflikt wird in den nächsten Jahren vor den Gerichten mit aller Härte ausgetragen.”

Welche Tendenzen sind in der Rechtsprechung wahrscheinlich? “Wenn die US-Finanzbehörden Ärger machen, werden die Investoren auf ihrem Eigentumsrecht bestehen, um den Steuervorteil nicht zu verlieren”, ist Schacht überzeugt. “Deutsche Gerichte werten den Barwertvorteil im Prinzip als Verkaufspreis für die geleaste Anlage. Damit ist die Stadt raus.” Wenn Wittenberg aber keine Abschreibungen mehr geltend machen kann, kommt dies deutlich teurer als der Barwertvorteil. Außerdem ist das ganze kommunale Gebührenrecht hinfällig. Es kommt aber noch schlimmer: Deutsche Gerichte werten CBL als Scheingeschäfte und deshalb ist der Barwertvorteil zu versteuern. Wittenberg hat aber den Barwertvorteil bereits verfrühstückt.

Fazit Dr. Schacht: “Man kann nicht gleichzeitig deutsches und amerikanisches Recht austricksen. Die Abschreibung auf ein wirtschaftliches Gut ist immer ein einmaliger Vorgang, man kann nicht zweimal abschreiben. Das CBL war ein unkluges Geschäft, ausgelöst durch steuerliche Gier und in der Hoffnung auf die wunderbare Geldvermehrung!” Alle juristischen Risiken liegen jedenfalls bei der Stadt, meint der Anwalt, und die Bürger hätten im Fall der Fälle das Recht, die Stadträte über die Gerichte juristisch in die Haftungspflicht zu nehmen. Besonders makaber: Die Berater von damals, die am CBL gutes Geld verdienten und den Stadträten versicherten, alles sei absolut sicher, bieten heute der Stadt eine aktuelle Risikoanalyse an - gegen Geld natürlich!

CBL und die wundersame Vermehrung des Geldes

Die Finanznot in Wittenberg war sehr groß, und so wurde das Cross-Border-Leasing (CBL) als wundersame Geldvermehrung entdeckt: Ein Geschäft mit Steuerschlupflöchern, das frei von Nebenwirkung Geld in die leeren Kassen spülen sollte. Die Sache klingt einfach: Ein US-Investor mietet für 99 Jahre ein Klärwerk samt Abwassersystem, und die Stadt least die Anlagen für 25 Jahre zurück. Eine Scheininvestition, denn der Investor in den Staaten hat kein wirkliches Interesse am Wittenberger Klärwerk. Er ist lediglich an der Abschreibung interessiert, die er beim Fiskus geltend machen kann.

Die Stadt Wittenberg hat für ihre freundliche Mithilfe bei der Steuerminderung den Barwertvorteil in Höhe von circa 16 Millionen Euro kassiert. Für den amerikanischen Investor ist der Handel ungleich lohnender, er verzeichnet durch die Steuerersparnis einen Gewinn von bis zu 300 Prozent. Auf Einladung des Kommunalpolitischen Forums Sachsen-Anhalt und der PDS-Stadtratsfraktion referierten Rügemer und Schacht über das brisante Thema.



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